Dieser Blog-Artikel wurde zuerst auf Deutsch und unter dem Titel „Zum Glück ist Nachhaltigkeit keine europäische Erfindung“ veröffentlicht.
Meine kleine Schwester hatte mich mal gefragt, was ich die ganze Zeit mit Nachhaltigkeit meine. An sich weiß sie ja noch wie unsere Mutter sich immer darum bemüht hatte, beispielsweise Essenreste vom Vorabend – insbesondere bei Reis oder To – auf der Terrasse zu trocknen, um daraus neue Gerichte zubereiten zu können. Aus getrocknetem Reis hatte sie Brei gemacht und aus getrocknetem To hatte sie in Mischung mit anderen Zutaten eine Art Couscous gezaubert. To ist eine Art Püree aus entweder Maismehl oder Hirsemehl, was in Burkina Faso oder Mali sehr verbreitet ist. To wird mit einer Soße oder Suppe gegessen. Diese Praktiken sind nicht nur bei meiner Mutter gekannt. Auch andere Mütter hatten so gehandelt. Es mag sein, dass solche Praktiken ihren Ursprung darin haben, dass die meisten Leute in solchen armen Ländern eben alle Möglichkeiten ausschöpfen, ihre Ernährung zu sichern.
Aber ja Schwester, das ist zum Beispiel auch Nachhaltigkeit. Anhand dieses Beispiels konnte ich Rosine erklären, was Nachhaltigkeit bedeuten könnte. Eben aus Not eine Tugend machen. In diesem Fall nachhaltig handeln ist also gleichzusetzen mit Handeln gegen die Wegwerfgesellschaft, oder aus Altem Neues schaffen. Würde meine Mutter so beispielsweise auch vorgehen um ein Einkommen zu generieren, so wäre Sie die hippe Mutter, die ein nachhaltiges Geschäftsmodell verfolgt. Wäre also meine Mutter zum Beispiel in Berlin, und wäre Sie weiß und hätte diese Idee kommerzialisieren wollen, dann würde man sie wahrscheinlich als die Hype Oma von Neukölln bezeichnen.
Dieser Ansatz liegt auch dem Geschäftsmodell von KOKOJOO zugrunde. Aus alten bzw. sogar Abfall neue innovative Produkte erzeugen und dabei neue Einkommensquelle für die Eigentümer der Abfälle generieren.
Meine Mutter ist aber Schwarz. Und ich bin auch Schwarz. Und mein Ansatz wird oft nicht mal als nachhaltig angesehen. Dabei hört die Nachhaltigkeit bei KOKOJOO nicht mal bei der Verwendung von Abfällen auf, aus denen wir neue innovative Produkte generieren.
Ich meine ich bin ja in Burkina Faso (West Afrika) geboren und aufgewachsen. Ich weiß was es bedeutet sich nach Oben zu kämpfen. Ich weiß was es bedeutet in einem von Weißen dominierten Milieu zu studieren, und ich weiß wie die durch Weiße dominierte Entwicklungspolitik funktioniert.
Mit all diesem Background kann ich schon behaupten zu wissen, was meine Landsleute haben wollen, und was wirklich Entwicklung herbeiführen könnte.
Umso überraschender ist es also, wenn einige Menschen auch in der Kakaobranchen von mir verlangen, dass ich deren Nachhaltigkeitsprinzip für die Marke KOKOJOO übernehme. Noch überraschend und nur zum Kopfschütteln ist, wenn ich nach einem Pitch zu hören bekommen: Ach das ist nur ein Getränk.
An der Stelle kann ich mir nicht verkneifen, zu schildern was passiert ist: Im November 2019 nahm ich an dem Startup Show 2Mi2Mi in Österreich Teil. Schon während des Pitches könnte der Investor Haselsteiner sich nicht zurückhalten und übernahm die Bühne für sich. Auf die Fragen der anderen Investoren konnte ich nicht mal zu Ende antworten bevor Herr Haselsteiner mich unterbrochen hat. Und die Krönung des Ganzen war, als er am Ende des Pitches behauptete. Ich zitiere:
„Es ist ausser, dass ein Getränk entsteht, kein Mehrwert. Ne… wenn es ein Effekt hätte… vort Ort…schafft Beschäftigung …vermeidet Wegwerfproblematik…es ist aber net so“
Herr Haselsteiner, nach welcher Grundlage erlauben Sie sich solch ein Urteil zu fällen. Entweder haben Sie das Geschäftsmodel nicht verstanden? – In diesem Falle hätten Sie sich ruhig verhalten können, um die richtigen Fragen zu stellen, um das Ganze zu verstehen. – Oder Ihnen war egal, was ich erzählt hatte. Im Nachhinein frage ich mich, ob Sie sich so verhalten hätten, wäre es ein junger Weißer (Österreicher), der KOKOJOO gegründet hätte, und im Rahmen der Sendung um Ihre Gunst gekämpft hätte?
Diese Gedanken erinnern mich an eine Diskussion, welche ich im Rahmen eines Austausches mit einem Partner hatte. Er fragte mich warum das Potenzial der Kakaofrucht bis jetzt nicht genutzt wurde. Als Antwort sagte ich ihm folgendes:
Interessant sollte das sein, was ich nach diesem Gespräch herausgefunden habe. Andere europäische Akteure haben sich im Rahmen einer Forschungsgruppe in Deutschland zusammengetan, um das Potenzial der Kakaofrucht zu erforschen. Dabei wird an mehreren Stellen betont, dass das Ergebnis sein solle, neue Einkommensquelle für Bauer zu generieren. Das Überraschende dabei ist aber, dass nicht mal Wissenschaftler oder andere lokale Akteure weder aus der Region wo Kakao sein Ursprung hat, noch aus dem größten Kakaoanbaugebiet der Welt beteiligt sind.
Kakao wächst nun mal nicht in Europa. Deswegen frage ich mich, bei allem Respekt, nach welchem Prinzip erlauben sie sich Rohstoffe zu erforschen, die nicht ihr Eigentum sind. Nur weil sie die nötigen finanziellen Ressourcen haben? Und es wird noch ernsthaft behauptet, es geht um Nachhaltigkeit?
Diese Vorgehensweise erinnert ganz stark an den Grundgedanken des Kolonialismus, was übrigens zur Aufteilung Afrikas zwischen den damaligen Kolonialmächten in Berlin im Jahre 1884 geführt hat, 100 Jahre bevor ich auf die Welt gekommen bin, ohne Beteiligung der Betroffenen. Das Ganze steht also beispielhaft für die „ausbeuterischen“ Praktiken im Rahmen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
An der Stelle will ich klarstellen, dass dieser Blogartikel kein Werbetext für KOKOJOO darstellt. Lediglich geht es mir darum, Ereignisse zu schildern und Fakten darzustellen, die eventuell den einen oder anderen dazu bringen sollen, ein wenig über den Tellerrand zu blicken und zu erkennen, dass Weiße, oder Europa nicht das Monopol zum Thema Nachhaltigkeit besitzen. Auch andere Völker, andere Menschen, wissen es nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen. Nur ihnen fehlen die Mittel, um ihre Ideen groß zu machen